Kreativität

Offen bleiben – „Kreativität“ von Melanie Raabe

»Kreativität hat viele Formen – und sie durchzieht unser ganzes Leben«, schreibt Melanie Raabe im Vorwort zu ihrem Sachbuch »Kreativität«, das zum Jahresende 2021 als Taschenbuch herauskam. Damit spannt sie den Rahmen, in dem sie über Kreativität als »fortlaufenden Prozess« berichtet. Wer auf Jungle Writing ein wenig durch die Blobgbeiträge stöbert, wird bemerken, dass es auch im Kreativen Schreiben in erster Linie um den Schreib-Prozess geht, darum, das Wunder von Einfall und Idee zu fördern, die beide wiederum Schreib-Lust entfachen können. Und auch Raabe berichte von der Lust, die das Kreative auf noch mehr Kreatives macht.

Kreativität ist überall

Dabei versteht sie Kreativität nicht nur auf Kunst und Schreib-Kunst bezogen. »Kreativität kommt in den unterschiedlichsten Bereichen vor. In der Universität und in der Küche, im Labor, im Atelier, in der Werkstatt und in der Kita«, schreibt sie. Das ist für uns, die wir uns mit Kreativem Schreiben auseinandersetzen, nicht neu. Als Kreativtrainerin biete ich Webinare und Seminare an, die Teams, Redaktionen, ganzen Abteilungen zeigt, wie sie Kreativität in ihren Job integrieren können. Längst also ist bei vielen angekommen, welchen Wert Kreativität hat – für die eigene Persönlichkeit und für die unternehmerische Bilanz. Ganze Branchen, beispielsweise das Fernsehen, haben längst Kreativabteilungen oder Agenturen ausgegründet, die mit Design Thinking oder Design Sprints kreativ neue Formate entwickeln.

Deshalb ist Raabes Hinweis, dass Kreativität nichts mit Genies zu tun hat, richtig – aber auch nicht neu. Alle, die kreative Ausdrucksformen unterrichten – ob in der Musik, im Tanz, beim Malen oder eben beim Schreiben – sind davon überzeugt. Wer aber »neu ist« beim Thema Kreativität, für den mögen Raabes Ausführungen durchaus informativ sein.

Blätter auf Blätter, Natur und Text zusammengedacht. Eine Idee, die sich bei der Lektüre von „Kreativität“ herauskristallisiert hat.

Ratgeber für Einsteiger

Da mögen Raabes Fragen helfen, der eigenen Kreativität auf die Spur zu kommen: Was gefällt dir? Was und welche Menschen inspirieren dich? Was gefällt Dir nicht? Wie kannst du auf Ideen für Themen oder Motive kommen? »Es ist nicht schwer Ideen zu haben«, schreibt Raabe, »wenn man erst einmal begriffen hat, was eine Idee überhaupt ist und wie man sie erkennt und festhält«. Ihre Tipps für die Ideenfindung: Eigene Erlebnisse und Emotionen reflektieren und transformieren. »Wir können aus allem schöpfen, was wir erleben oder jemals erlebt haben«, schreibt sie. Wir müssen die »Antennen aufstellen«, mit »offenen Augen und Ohren und mit offenem Herzen durch die Welt gehen.« Und dann aufschreiben, was uns auffällt.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich solche Ratschläge zu oft gelesen, auch in Schreibratgebern aus dem 1950er Jahren. Doch die Welt hat sich weitergedreht: Gerade das Kreative Schreiben bietet ein Füllhorn an Übungen und Methoden, Erinnerung zu generieren, es gibt so viele Bücher, die sich mit Mindfulness im Schreiben oder achtsam schreiben auseinandersetzen, dass der Rat, einfach »offen« zu sein, zwar abolut richtig, mir aber ein wenig altbacken vorkommt.

Tipps und Tricks von gestern

Viele Beispiele, die Raabe nennt, liegen zurück. Beim Thema »assoziative Barrieren abbauen« erinnert sie an John Cages »4’33«, in dem er auf der Bühne vier Minuten und 33 Sekunden lang vor einem Flügel saß und nicht spielte – 1962. Das »Stück« bestand aus dem Husten, Räuspern und Unruhigwerden des Publikums. Dabei habe Cage, so Raabes Verbindung zum Thema Assoziation, die Erwartungen seines Publikums auf den Kopf gestellt. Als nächstes empfiehlt Raabe unterschiedliche Perspektiven einzunehmen – etwa als Modeschöpferin zu überlegen, für die eigene Großmutter zu designen. An dieser Stelle darf ich auf den Beitrag von Sigrid Varduhn zum »Perspektivwechsel« als Schreibimpuls erinnern. Ihren Beitrag „Einfach mal Hahn sein“ findet ihr hier.

Blätter auf Blätter …

Wenn es um Produktivität geht, empfiehlt Raabe die Porodomo-Technik, eine in den 1980er Jahren entwickelte Idee, wie sich fokussierte Arbeitseinheiten effizient aufteilen lassen. Wikipedia klärt darüber bereits auf.  Oder sie empfielt, im Café zu schreiben – eine Idee, die wir von etablierten Autoren ab 1800 kennen. Ihr Tipp für die Schreibplan-App Pacemaker findet sich auch auf den Webseiten vieler anderer Autorinnen und ihr Kapitel darüber, wie wir in den Flow kommen, Durchhaltevermögen und Routinen entwickeln, sind eben auch nicht neu. Offen bleibt, wie wir ihren Rat befolgen können, sich nicht vom Druck und den Erwartungen anderer lähmen zu lassen. »Offen bleiben« – so ihr Rat für immerwährende Kreativität – bedeutet für Raabe permanent den Horizont zu erweitern, viele Gespräche zu führen, zu reisen und grundsätzlich »ein unstillbares Interesse an der Welt und allem, was sie bevölkert« zu zeigen.

Inspiration inklusive

Das alles sind gute Ratschläge, richtige und wichtige Hinweise, aber schon oft aufgeschrieben. Und dennoch: Melanie Raabes »Kreativität« liest sich leicht und vermittelt nicht zuletzt dadurch Lust auf mehr Kreativität. Und es inspiriert, trotz des überstrapazierten Bezugs zu ihrem eigenen Leben und Werk (da hat wohl der Verlag »Storytelling« empfohlen). Nach der Lektüre fühlte ich mich bestätigt, meine neuesten Aquarell-Arbeiten auf Buchseiten noch einmal zu variieren. und mir weitere Ideen bereitet, wie ich Schreiben und Malen zusammenbringen kann.  Wenn das ein Buch schafft, dann hat es Gutes getan.

Kreativität

Über die Autorin

Christina Denz

Christina ist Journalistin, Schreib-pädagogin, Dozentin und Initiatorin von Polgygonar, dem Content-Seminar. Außerdem betreibt sie den Garten-Blog Arcadia Revisited. Mehr Infos unter denz-berlin.de.

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