Postcrossing zum Welttag der Postkarte

"Gute Reise und schenk ein Lächeln"

Seit dem 1. Oktober 1869 gibt es die Postkarte. Ihre Geschichte ist eng verbunden mit der Entwicklung der Post, der Fotografie und der Druckverfahren. Und sie ist verbunden mit dem Wunsch, beim Postversand Material, Kosten und Zeit zu sparen sowie Abläufe zu vereinfachen. Angeregt unter anderem durch einen Artikel eines Wiener Wirtschaftsprofessors entwickelte die Österreichisch-Ungarische Post dann zum 1.10.1869 die Correspondenz-Karte mit Platz für eine Nachricht auf der einen Seite und für die Adresse auf der anderen. Die Postkarte war erfunden. Und deshalb wird der 1. Oktober jährlich als World Postcard Day gefeiert.

Auf der internationalen Website Worldpostcardday kann man die Geschichte der Postkarte genauer nachlesen. Außerdem findet man auf der Website allerhand Materialien und Ideen rund um diesen Tag: es gibt Unterrichtsmaterial auf verschiedenen Sprachen, die Idee, eigene Sammlungen zu zeigen, Postkarten-Events auszurichten. Bibliotheken werden anregt, besonders   Bücher mit Postkarten und Briefen zu präsentieren. Es wurde sogar eine offizielle Postkarte zum World Postcard Day entworfen, die man sich herunterladen, ausdrucken und verschicken kann. Das Motiv der Postkarte wurde in einem internationalen Wettbewerb gefunden, organisiert von Postcrossing. Und von Postcrossing  möchte ich hier erzählen.

Postcrossing - Postkarten reisen um die Welt

Wie komme ich bloß darauf? Nach langer Zeit habe ich Katja wiedergetroffen und die berichtete mir von ihrem neuen Hobby. Als Schreibverliebte war ich sofort begeistert: Katja ist Mitglied bei Postcrossing und schreibt regelmäßig fremden Menschen irgendwo auf der Welt Postkarten und bekommt selbst welche. Einen bunten Schatz hat sie da schon angesammelt und erzählt mir spontan von einem Absender aus Brasilien, der zwischen den Bauarbeiten zur Sicherung seines Hauses gegen einen Hurricane rasch diese Karte an sie verschicken wollte. Eine andere Absenderin war überrascht, dass sie seit vielen Wochen zum ersten Mal wieder Eichhörnchen in ihrer Straße gesehen hatte.

Eine andere Karte ist für sie besonders, weil sie es offenbar schwer hatte auf ihrem Weg von der Schweiz zu Katja. Unterwegs musste sie irgendwo in zwei Teile gerissen sein und wurde offenbar von der Post wieder liebevoll zusammengeklebt.

Wie funktioniert Postcrossing? Über welche Postkartenmotive freuen sich die Empfänger*innen? Worüber kann man schreiben und woher kommen die Ideen? Warum überhaupt kann das Ganze schön sein?

To get a postcard - send a postcard!

Wie genau das funktioniert, erklärte mir Katja: Man meldet sich mit seinen Empfängerdaten auf dieser Plattform an. Wenn man mag, kann man auch mehr über sich mitteilen, z.B. welche Hobbys man hat, welche Bücher man gern liest, mit welchen Themen man sich beschäftigt, was einen ausmacht, welche Postkartenmotive man gerne mag. Oder Fragen an die Postcrosser. Dann stellt man ein, dass man Postkarten verschicken möchte und bekommt Empfänger-Adressen random und einmalig zugeteilt. An diese schreibt man seinen freundlichen Gruß.

Die geschriebene Karte registriert man auf der Plattform und vermerkt die Registrierungsnummer auf der Karte. Adressen mit fremden Schriftzeichen druckt man am besten aus. Dann ab zum Briefkasten. Katja hat sich zum Ritual gemacht, jede Karte einzeln zu verabschieden mit den Worten „Gute Reise und schenk ein Lächeln“. Der Empfänger meldet auf der Plattform, wenn diese Karte angekommen ist. Und damit kommt die eigene Adresse in die Liste der Empfänger-Adressen und wird einer anderen schreibenden Person irgendwo auf der Welt zufällig zugeteilt. Wenn man dann eine Postkarte erhält, musst man sie als angekommen registrieren, damit der Absender wiederum Post bekommen kann. Bei diesem letzten Schritt hat man einmalig die Möglichkeit, dem Absender eine kurze Dankesnachricht zu senden. Manchmal, bei besonders liebevoll gestalteten Karten, kann dann auch eine Adressanfrage dabei sein für eine Rückantwort. Aber generell ist Postcrossing nicht für lange Brieffreundschaften erfunden worden, sondern für die kleinen zufälligen Überraschungen. Und je mehr Karten man schon insgesamt geschrieben hat, umso mehr Adressen bekommt man freigeschaltet. Man erarbeitet sich sozusagen, dass man mehr Karten schreiben und bekommen kann, angefangen bei 5 Karten mit einem Mal. Wie schnell oder langsam man reagiert, ist nicht festgelegt. Für längere Zeiten der Abwesenheit ist es aber fair, sein Profil entsprechend einzustellen. Das Prinzip ist also: um eine Karte zu bekommen, musst du eine schreiben.

Postcrossing: Ein Porträt

Okay, das klang jetzt sehr technisch. Eigentlich ist es ein buntes kreatives Erlebnis, was so lange dauert, wie du deinen Account lebendig hältst. Und wenn man auf der Website schaut, sieht man in einem Liveticker, wo in der Welt gerade Postkarten auf Reisen gehen. Ich schaue eben: aus Japan, Israel, aus der Türkei, aus Frankreich, Argentinien, Australien, Polen, Griechenland … Nach Finnland, nach Kanada, Tschechien, Slowenien, Thailand, Island, Indien, Lettland… Daneben ein paar Zahlen: aktuell gibt es 802.997 Mitglieder in 208 Ländern. 456 Postkarten wurden in der letzten Stunde verschickt! Aktuell sind 340.079 Postkarten unterwegs.

Die Idee zu diesem Projekt hatte 2005 der portugiesische Student Paulo Magalhães. Er liebte es selbst, Postkarten zu bekommen und kannte Menschen, denen es genauso ging. Und so beschloss er, eine Plattform zu kreieren, damit Menschen überall auf der Welt durch Postkarten in Kontakt kommen können. In kurzer Zeit wurde daraus ein großes Projekt, was er gemeinsam mit Ana Campos und einem kleinen Team betreut. Es wurde in verschiedenen Medien besprochen. 2014 stellte Ana Campos das Project beim TEDx Porto  vor – mit einer Überraschung fürs Publikum. Inzwischen gibt es sogar regionale Meetups,  um gemeinsam Postkarten zu schreiben und anzuschauen. Am 1.10.2019 feierte das Postcrossing-Team den 150. Geburtstag der Postkarte, initiierte Treffen und einen Postcard-Contest mit Ausstellung in der Universal Portal Union in Bern. In der Folge wurde daraus ab 2020 der World Postcard Day .

Postkarten schreiben

Jemandem Fremdes eine Postkarte zu schreiben, bedeutet an jemanden denken, sich in die Person einfühlen und sich besinnen. So kann man sich selbst achtsame Momente im Alltag schaffen. Katja sagte mir, dass Bookcrossing  für sie zu langwierig wäre, aber für eine Postkarte habe sie immer mal 10 Minuten Zeit. Und dann erwischt sie sich oft dabei, wie

sie sich doch Zeit nimmt und gleich mehrere Karten schreibt und gestaltet. Ihre Karten sollen etwas besonderes sein. Der Moment des Anfertigens auch. Sie zelebriert das ein bisschen: tunkt genüsslich die gedrehte Glasfeder , die ihre Eltern ihr einst aus einer Glasbläserei in Murano mitbrachten, in die besondere Tinte. Verziert die Nachricht mit Stickern und sucht schöne Briefmarken aus, passend zum Empfängerprofil. Die Empfängerdaten schreibt sie zur Sicherheit immer mit wasserfestem dünnen Fineliner. Ich mag die Vorstellung, wie es sie glücklich macht, andere Menschen zu überraschen.

Aber worüber kann man eigentlich fremden Menschen schreiben? Zuerst lohnt ein Blick in das Empfängerprofil: Was beschäftigt und interessiert die Person? Katja schlägt z.B. vor, ihr eine kleine Geschichte aus dem täglichen Leben zu schreiben, von kleinen Ritualen zu erzählen, von Freundschaft, Tieren, Büchern…

Weitere Ideen dafür gibt es unter den FAQs, als Writing prompt monatlich auf dem Blog von Postcrossing, hier bei jungle-writing und bei Schreibcoaches. Diese Ideen haben mir spontan gefallen:

  1. Schreibimpulse über deinen Ort: Schreib über deine Nachbarschaft. Schreib über Sprichwörter deines Landes. Schreibe spannende Fakten, Traditionen oder Reiseempfehlungen über dein Land.
  2. persönliche Schreibimpulse: Schreib über deinen Lieblingstag im Jahr. Welche Superkraft hättest du gern? Was bringt dich zum Lächeln? Was ist dein liebstes Kinderbuch? Was sind deine Hoffnungen für das kommende Jahr?
  3. Kreatives Schreiben: Schreib eine Minigeschichte, Flash Fiction oder ein Gedicht. Wie wäre es mit einem Haiku  oder Elfchen ?
  4. Ideen ohne Worte: Und wenn du gar nicht selbst schreiben magst, dir einfach mal die Worte fehlen, ja dann borg dir Worte, collagiere oder zeichne. Ideen findest du hier in unserem Beitrag zum Tagebuchschreiben ohne Worte und in diesem Blogpost über Mail-Art.

Postkarten bekommen

… bedeutet Kontakt in die Welt haben, Kontakt zur Welt haben. Etwas zu erfahren vom Leben der Menschen in anderen Kulturen und Lebenswelten. Es bedeutet auch Freude und Überraschung, das Gefühl nicht allein zu sein. Eine Kollegin aus der Poststelle der Firma erzählte Katja in der Teepause von ihrem verrückten Hobby. Und sie war sofort begeistert. Nur wenige, die es versuchen, melden sich wieder ab. Es ist einfach schön, darüber nachzudenken, wie man anderen eine kleine Freude im Alltag bereiten kann.

„Jede Karte hat eine Geschichte“, erzählt Katja und zeigt mir zwei Karten , die sie an eine Englischklasse in Taiwan geschickt hat. Diese Klasse beginnt ihre Schultage gern mit einer Postkarte und die Kinder entscheiden dann, ob die Mädchen oder die Jungen sie behalten dürfen. Oder letztens hatte sie das Glück, die erste zu sein, die einem neuen Postcrossing-Mitglied, einem jungen Mann aus Frankreich, schreibt.

Postkarten sammeln

Das kann man gleich dreimal:

  • Postkarten, die man bekommen hat. Katja zeigte mir ihre Sammlung von 204 Karten, die sie inzwischen in vier Alben aufbewahrt. So haben diese Schätze einen sicheren Ort und sie kann genüßlich darin herumblättern. Denn ja, einige dieser Karten müssen abenteuerliche Wege hinter sich haben, waren lange unterwegs unter den verrücktesten Bedingungen. Auf ihrem Account kann sie vorfreudig sehen, dass gerade 7 Karten zu ihr auf Reisen sind.
  •  Postkarten, die man verschicken möchte. Für Postcrossing ist es praktisch, immer ein paar Karten auf Vorrat zu haben, um spontan welche verschicken zu können. Zur Motivwahl hat Katja in ihrem Profil geschrieben, dass sie sich über jede Postkarte freut. Das ist auch einfach, weil die allermeisten sehr aufmerksam die Profile lesen und passende Karten, Sticker und Briefmarken aussuchen. Aber ein paar Ideen hat sie dann doch notiert: Sie interessiert sich riesig für Raumfahrt und das Universum und freut sich deshalb besonders über Karten mit Bildern von Galaxien, Planeten, Raumschiffen. Sie mag Karten mit dem Buchstaben „K“, sie mag Steine, Bücher und Bibliotheken, Drachen, Meerjungfrauen, Meeresmotive. Sie hat auch einige Tiere notiert, die sie gern auf Postkarten sieht. Und dass sie keine Insekten auf Karten bekommen mag. Dafür aber Ruinen, alte Bäume, Jane Austin und Self-made Karten…Viele Menschen schicken auch Karten mit Motiven der jeweiligen Absenderheimat, mit Sehenswürdigkeiten, Architektur und Landschaften. Lieblingspostkarten kann man auch mit einem Herz liken und so anderen auf dem eigenen Profil zeigen, was man gerne mag.
  • Postkarten, die man selbst verschickt hat. Die sammelt Katja digital

Postkarten gestalten

Und damit schließt sich der Kreis: Die Kreativität kann schon vor dem eigentlichen Schreiben beginnen: Mit eigens gebastelten Karten kann man sich künstlerisch ausdrücken. In manchen Gegenden dieser Welt bekommt man nur eine geringe Auswahl an Postkarten, hier werden die Menschen erfinderisch. Die verwendeten Materialien sollten die Postwege gut überstehen können, die Pappe sollte hinreichend stabil sein. Katja hat neben all den Schreibutensilien und Postkartenalben deshalb auch eine bunte Auswahl an Materialien, um die Karten herzustellen oder individuell aufzuhübschen. Auch das versteht sie als eine Wertschätzung gegenüber den Empfänger*innen. In dem Blogbeitrag vom 25.04.2022 zeigt shanaqui, wie verschieden und inspirierend selbstgestaltete Karten aussehen. Dort sind Abbildungen von gemalten, gestickten, umhäkelten, collagierten, gezeichneten Karten. Sie haben unterschiedliche Materialien und Texturen. Sie sind alle so besonders.

Wozu das Ganze?

Diese Frage kann man nur stellen, solange man noch nicht einen Postcrosser hat erzählen hören. Katja strahlt, zeigt mir Karten, erzählt deren Geschichten, freut sich über die Aufmerksamkeiten. Da ist die Briefmarke mit Planeten  passend zur Karte, da sind Zeichnungen, gestempelte Grüße von einem Meetup aus Taiwan. Eine Karte wurde von der Tochter einer Postcrosserin gezeichnet . Auf eine Karte hat jemand Dinge über Katja gestaltet, die er im Profil gelesen hat. „Jede Karte ist mit Liebe ausgesucht, gemacht oder wenigstens pünktlich verschickt.“

Auf jemands Frage, warum sie nicht Mails verschicke, das wäre doch einfacher und kostenlos, antwortete sie: „Du hast recht. Aber versucht mal, einen Laptop an die Kühlschranktür zu pinnen!“

Ähnlich kann man das auch in der Statistik (Blogpost vom 22.2.2022) und dem Statement im Blogpost vom 8. März 2022  und in den vielen rührenden Statements der Postcrossingmitglieder  nachlesen. Sie schwärmen davon, wie ihr Herz hüpft, wenn sie neben Rechnungen und Werbung eine Postkarte finden. Sie trainieren ihre Sprachkenntnisse, sie „reisen“ per Zufall in andere Länder und Kulturen. Sie erfahren etwas über die Leben, Hoffnungen und Träume anderer Menschen. Und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, wie man aussieht, wie alt man ist, wo man arbeitet, ob man viel Geld hat… Außerdem machen sie gern anderen Menschen eine Freude, mögen die freundliche Community und genießen den kreativen Output. Jede Postkarte ist überraschend anders und mit jeder Postkarte kann man erleben, dass Fremde friedlich und ohne Vorurteile miteinander kommunizieren.

Na, bist du ein bisschen inspiriert? „Übrigens muss man nicht postcrossen, um eine Postkarte zu verschicken. Warum nicht mal ohne Vorwarnung eine Postkarte verschicken? An einen alten Freund oder die Lieblingskollegin. Einfach nur so. Weil’s Freude macht. Für uns Postrosser ist eh jeder Tag World Postcard Day!“ Mit diesen Worten von Katja winke ich von meinem Schreibtisch rüber.

Herzlich, deine Jana

P.S.: Noch einige spannende Facts

In den Niederlanden, in Österreich, Deutschland (zum 6.10.), Estland und Luxemburg wurden Postcrossing-Briefmarken von der Post herausgegeben.

Als „traditionelles“ Essen für Postcrosser, bes. am World Postcard Day, empfiehlt Meiadeleite mit Verweis auf die Postcrosserin Bonnie Jeanne aka „postmuse“: Ravioli. Warum wohl?

Insgesamt sind schon 68.641.763 Karten verschickt worden. Die Karten haben Wege zurückgelegt, die zusammengenommen 8.632,663 Runden um die Welt lang sind.

Postcrossing ist ein Teenager: Am 14. Juli diesen Jahres feierte Postcrossing seinen 17 Geburtstag.

Hin und wieder gibt es auch Spenden- und Hilfsaktionen. Im Dezember 2021 etwa schreiben Postcrossing-Mitglieder aus Deutschland 137.299 Karten für die Leseförderung. Für jede verschickte Postcrossing-Postkarte spendete die Deutsche Post 10 Cent an die Stiftung Lesen .

Ein echter Postcrosser kennt die Brieflaufzeiten besser als sein Postbote.

Die Autorin

Jana Zegenhagen ist Schreibberaterin und Autorin. Mit Ihrer Kollegin Nora Peters bietet sie auf schreib drüber Workshops an und bloggt über kreatives Schreiben.

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