“Start with a sealskin. Where is it – hidden away, hanging on the wall, tucked under a coat? Why is it there, and who does it belong to? Start writing, and see what happens.“
Im Juli 2020 nehme ich am 6-wöchigen Online-Kurs „Folk Tales in New Fiction“ der Schreibschule London Lit Lab teil – und das ist der zweite Schreibimpuls. Denn hier geht’s um Verwandlung – von Seehunden (oder anderen Tieren) in Menschen und umgekehrt.
Am Anfang waren die Absagen in diesem Corona-Sommer. Lauter interessante Workshops konnten nicht stattfinden. Also hielt ich nach anderen Angeboten Ausschau – dann eben online. Und weil die englischsprachige Kreativ-schreiben-Welt noch ein bisschen weiter ist, schaute ich auch im internationalen Raum. Ein Kurs dazu, was sich schreibend noch alles aus Märchen machen lässt? Das klang genau nach meinem Thema. Aber dann eben natürlich auch auf Englisch.
In der anderen Sprache zu lesen, das mache ich immer einmal wieder. Mich über sie mit anderen auszutauschen, ist mir auch vertrauter geworden. Aber ein Schreibkurs über 6-Wochen mit wöchentlichen Aufgaben und unter lauter muttersprachlich Schreibenden, das fühlt sich noch eher wie eine Mutprobe an. Doch: Die Lust überwog den Zweifel. Also meldete ich mich an.
Bin ich hier richtig?
In Woche 1 bin ich noch etwas zögerlich. In den Austauschrunden mit den anderen Teilnehmenden über das Kommunikationsprogramm Slack erwähne ich oft, dass ich sonst nur auf Deutsch schreibe. Dabei tut das gar nicht unbedingt Not, denn das merken die anderen vermutlich sowieso. So wirkt es ein bisschen wie „fishing for compliments“, was auch prompt funktioniert, mir dann aber doch wieder unangenehm ist. Aber der Austausch ist herzlich und motivierend, auch wenn wir uns nicht über Video sehen, sondern uns nur gegenseitig schreiben.
Märchen, Gedichte, Kurzgeschichten und Szenen aus Romanen. Die umfangreiche Leseliste jede Woche begeistert und erschreckt mich zugleich. Mit so vielen Impulsen habe ich nicht gerechnet und vor lauter Lesen bleibt mir kaum noch Zeit zum Schreiben. Ca. 3 Stunden Zeitaufwand pro Woche sind zum Kurs angegeben. Die würde ich allerdings schon brauchen, um alle Texte und Kommentare der anderen durchzusehen. An meinem Enthusiasmus ändert das nichts.
Und es geht doch – oder gerade.
„We looked for it. We looked for it behind every curtain, in each closet and Eddie even managed to open the lock of the chest without damaging it. We took every minute our mother was away, for work, for shopping, for a visit in the neighborhood …”
Im Schreibimpuls hieß es, dass wir uns das Seehundfell einfach nehmen sollen, von der Wand oder aus seinem Versteck unter einem Mantel und dann die Geschichte dahinter schreibend herausfinden. Also lasse ich Kinder nach dem Seehundfell ihrer Mutter suchen, während sie unterwegs ist. Der Ton meiner Texte ist erstaunlich schnell da und zieht sich durch alle Aufgaben durch. Dieses Repetitive, fast Beschwörende kenne ich von mir so nicht, wenn ich auf Deutsch schreibe. Eine positive Seite des geringeren Wortschatzes? Ich weiß es nicht, aber es verblüfft und interessiert mich. Werde ich beim Schreiben auf Englisch eine andere? Vielleicht genieße ich die Lust am Spielen mit dem kreativen Schreiben hier einfach auch besonders, weil ich mit hohen Ansprüchen und Perfektionismus sowieso nicht weit komme.
Am Ende der sechs Wochen habe ich längst nicht alles aus der Leseliste gelesen und auch nicht alle Aufgaben durchgeführt. Das aber liegt mehr daran, dass ich noch vieles andere gerade zu tun habe. Begeistert bin ich trotzdem und auch ein ganzes Stück mutiger, weiterhin auf Englisch zu schreiben.
Die Fortsetzung des Kurses gibt es übrigens auch schon: „Wild Inside. More Folk Tales in Fiction“ im März 2021. Ich bin schon angemeldet.
Die Autorin
Sigrid Varduhn ist Geschichten-Anstifterin. Ihre Schreibwerkstätten finden in Caputh, Potsdam, Berlin und online statt. Infos unter sigridvarduhn
6 Gedanken zu „Start with a sealskin and see what happens.“
Very inspiring. Already checked the upcoming classes at London Lit Lab. Seems a wonderful chance to overcome language struggles and improve your written and spoken English skills. And maybe get to know native speakers who can help with proverbs, sayings and Redewendungen. Well, seems very wichtig, ich denke. And besides, I’m überzeugt, that English is going to be more universal when Britains’s Brexit is finally done ;-)). Thanks for sharing.
Ja genau! Vielen Dank für den Kommentar. Das ist auch noch ein wichtiger Aspekt beim Schreiben in der Fremdsprache – sich anstecken zu lassen von den Wörtern und Wendungen, die die anderen benutzen.
Und noch ein Tipp für die noch nicht annähernd abgearbeitete Leseliste, wo wir gerade bei Seehundfellen sind: die Kurzgeschichte „Sealskin“ von George Mackay Brown. Die hat einfach alles, besser geht‘s nicht mehr.
Diese Geschichte stand noch nicht auf der Liste – ich habe sie mir gleich vorgemerkt. Danke schön für den Lese-Tipp, Sabine.
Hallo Sigrid, Danke für diesen spannenden Beitrag. Ich bin zum ersten Mal auf eurer Seite und sofort bei diesem Thema hängen geblieben. Ich habe auch schon öfter mit dem Gedanken gespielt einen Schreibworkshop auf Englisch zu besuchen, aber mich bis jetzt nur über einen Workshop auf masterclass.com „drübergetraut“ auf dem frau sehr anonym bleiben kann (wenn sie möchte) und wo auch keine Texte ausgetauscht werden müssen. Zwei Fragen hätte ich, wo mich deine Erfahrungen sehr interessieren würden: 1) Bist du während des Workshops einmal in „Versuchung“ gekommen auf Deutsch zu schreiben? z.B. weil du eine supergeniale Idee hattest, aber das Vokabular gefehlt hat? 2) Hast du immer sofort in englischer Sprache geschrieben oder auch mal einen Text auf Deutsch verfasst und dann übersetzt? Alles Liebe aus Wien 🙂 Veronika
Liebe Veronika, das freut uns sehr, dass du zu Jungle Writing gefunden hast! Zu deiner Frage: Ich kenne tatsächlich beides, sowohl ausschließlich im Englischen zu bleiben als auch ins Deutsche zu wechseln. Das hat bei mir gar nicht unbedingt immer etwas mit dem Vokabular zu tun, sondern eher mit der Ausgangssituation. Bei diesem Kurs war ich durch die Kurslektüren und den Austausch mit den anderen in der Schreibsituation oft schon im Englischen drin und habe dann einfach so weitergeschrieben. Wenn ich aber an einem nächsten Tag zu einem der Impulse geschrieben habe, habe ich auch manchmal erstmal auf Deutsch angefangen und dann später übersetzt. Ein ganz spannendes Erforschungsthema! Ich freue mich, dass du das auch so siehst. Aus meiner Begeisterung heraus werde ich übrigens am 14. März auch einmal wieder einen eigenen Online-Workshop für „Creative Writing in English“ anbieten, explizit für Menschen, die dabei nicht in ihrer Muttersprache schreiben. Wenn du schauen magst: https://www.erzaehlschreiben.de/themen-und-termine/termine.php. Alles Liebe nach Wien, Sigrid