Skorbut an Bord – Kreatives Schreiben in der Krise?

Was haben wir uns zusammengerissen: Sind für die Gemeinschaft zuhause geblieben, haben Dauerabstimmungen per Telefon oder Video durchgestanden, täglich zig E-Mails beantwortet, Kinder bespaßt, Ehen gerettet oder uns nach einer Beziehung gesehnt, weil wir allein leben oder die Fernbeziehung auf „hold“ steht, wir haben beim Einkaufen angestanden, sind Mundschutz und Desinfektionsmitteln nachgejagt und haben uns wie befohlen die Hände gewaschen. Und wir Schreibdozentinnen haben uns in diesem inneren wie äußeren Ausnahmezustand mehr denn je nach unseren Schreibzeiten und Schreibroutinen gesehnt. Denn Schreiben befreit, haben wir in vielen Jahren gelehrt und gelernt. Und jetzt? Jetzt schaffen wir es kaum, die Erzählung weiterzuführen, die wir euphorisch vor Corona begonnen haben, können uns keine Liebesgeschichte mehr mit „normalen“ Beziehungsproblemen vorstellen, wir nutzen die Zeit nicht für unseren erträumten literarischen Wurf und nicht für fantasiereiche Text-Eskapaden. Schreiben befreit. Ja. Aber jetzt scheint uns etwas befreien zu müssen, damit wir wieder schreiben können.

Welten entwerfen war unser Leben

Wenn ich über das Kreative Schreiben nachdenke, dann meine ich damit nicht solche Reflexionen wie ich sie selbst hier anstelle: Über Corona schreiben, über unseren veränderten Alltag, damit wir in 30 Jahren ein Dokument der Erinnerung haben. Die Volkshochschulen und Seiten für Kreatives Schreiben sind voller Angebote, dem Eindruck des Augenblicks eine Stimme zu geben.

Ich will mich vielmehr dem fantasievollen Entwerfen von Welten, und seien sie noch so klein, zuwenden, das unter sogenannten normalen Umständen unsere eigene Welt entscheidend bestimmte. Das ist ein Beruf, den wir ergriffen haben: Kreativ zu schreiben, in Übungen allein und mit anderen Ideen für Gedichte, Geschichten, Novellen, Romane oder Dramen loszutreten, und daran mitunter eine lange Zeit zu arbeiten.

Dass Corona Literatur wird, ist sicher – irgendwann. Wir wissen von anderen gesellschaftlich traumatischen Ereignissen wie Kriegen und Revolutionen – auch der einen friedlichen: Um daraus etwas Fiktionales zu schöpfen, um die Entscheidung zu treffen, was das persönliche Thema an dem Ereignis ist, vergehen mitunter Jahre. Was aber ist mit dem Hier und Jetzt?

Was ist mit uns geschehen?

Die erste Erklärung, warum viele von uns hadern, im Schreiben gerade jetzt kreativ zu werden, mag die Überlastung sein. Schwindet langsam der Druck des „social distancing“, gaukelt uns die schrittweise Öffnung der Geschäfte eine gewisse Normalität vor, folgt die Erschöpfung. Langsam tröpfelt in unser Bewusstsein, was mit uns in den vergangenen Wochen geschehen ist. Das soziale Stillschweigen, das durch den Verlust der Körperlichkeit nur dürftig von Videomeetings und Telefonaten aufgefangen wurde, das politische Stillschweigen, weil wir keinen Kanal, keine Meinung und keine Gleichgesinnten trafen, die unsere Haltung gespiegelt hätten, zeigt jetzt seine Wirkung. Das Entsetzen darüber setzt uns aus. Die sozialpsychologische Verdauung eines gesellschaftlichen Traumas, das wir durchschritten haben, verlangt unsere ganze Aufmerksamkeit. Mein Kopf ist voll von Bewusstwerdung. Da ist für anderes kaum Platz.

Was gerade eben, jetzt, veröffentlich wird, ist zwar kreativ erschrieben, hat aber meistens mit Corona zu tun, wie der Fortsetzungsroman So ist die Welt geworden. Der Covid19 Roman, von Marlene Streeruwitz, die jeden Donnerstag auf ihrer Website eine neue Episode postet. Oder der Corona-Roman von Thomas Glavinic, den er häppchenweise in der „Welt“ veröffentlicht. Für mich sind das  Bewältigungstagebücher, denen Fiktion übergeholfen wurde, damit es Literatur wird.

Aber „Literatur ist weder Krisenbewältigung noch Schnellschussinstrument“, sagte Schriftstellerin Ulrike Dreaesner jüngst im Spiegel. „Beim Schreiben geht es nicht um Geistesgegenwart, sondern um Vergegenwärtigen.“ Und da stecken wir noch mittendrin. 

Schreiben an der Grenze

Ich führe selbst ein Journal, nicht streng nach Tag, immer dann, wenn sich etwas aufdrängt. Corona drängt sich auf – brachial. Aber ich schreibe nicht. Alles, was mir dazu einfällt, klingt für mich banal, uninspiriert. Und trägt auch nicht zur Verarbeitung von Ängsten bei, weil die ja noch gar nicht vorbei sein können angesichts der prophezeiten „nächsten Welle“, und der übernächsten, und der überübernächsten.

Ich überlege, ob uns diese Übermacht schlicht die Fantasie raubt. Eine Freundin, die vor Corona an einer Utopie saß, verlor die Zuversicht in ihre famosen Einfälle: „Die Realität ist viel krasser als meine Idee“, sagte sie und buchte sich in Online-Yogakurse ein. Manche lehren „Mindfulness.“ Ich würde mir eher „Mindemptiness“ wünschen.

Eine Methode im Kreativen Schreiben, unsere Gefühle in fiktionale Konzepte zu übersetzen, also Angst, Wut, Ohnmachts-Gefühle und Einsamkeit in Schreib-Stoffe zu transformieren, setzt Klarsicht und Kraft voraus. Beides dürfte vielen von uns gerade fehlen. Bernard-Henri Lévy räumte ein, dass er mit der Situation schlecht klarkommt und die Vorstellung, die Einsamkeit sei der natürliche Zustand des Schriftstellers, für ein Klischee hält. „Ist nicht das Schreiben eine Revolte gegen die Einsamkeit und Eingeschlossenheit“, fragte er im Spiegel. Für das gesellig geprägte Kreative Schreiben trifft das doppelt zu.

„In der Krise kommen wir an unsere persönlichen Grenzen“, sagte eine Kollegin kürzlich. An der Grenze lässt es sich aber nicht so gut schreiben wie ein paar Meter weg von ihr. Mitten im klaustrophobischen Anfall ist die Erkenntnis über das Klaustrophobische gering.

Skorbut an Bord

Der Strom des Eskapismus, den viele Einfälle ausmachen, die im Kreativen Schreiben aus uns heraussprudeln, droht zu versiegen. Das Schiff dessen, was alles ohne Verdikt auf Sinn und Norm geschrieben werden kann, streift den Grund. Dem Geist, aus dem das Kreative Schreiben als Manifest entstanden ist, weil es hinausbringt, was sich nicht Angst und Obrigkeit beugt, droht der Skorbut. Mancher Schreibgruppe mag schon vorher das Wasser ausgehen.

Das ist ein düsteres Mindset, gegen das viele anpostulieren: In der Krise liegt die Chance – jetzt könnten wir diesen Satz beweisen, heißt es. Sie trommeln die Zuversichtlichen der Nation zusammen, die uns kluge Sätze gegen die Einschätzung der Virologen sagen, und die Zukunft ganz klar vorhersehen. Streng genommen ist das natürlich auch kreativ. Aber hier möchte ich noch einmal Bernard-Henri Lévy zitierten: „Die Idee, dass das Virus eine Botschaft hat, ist Quatsch.“ Das Virus sei blind und dumm. „Es hat uns nichts zu sagen.“ Dann lasse ich mir vielleicht wirklich nichts mehr davon sagen. Und hoffe, dass mein Kopf damit bald wieder mehr Platz für schräge Einfälle bekommt.

Die Autorin

Christina Denz ist Journalistin, Dozentin und Initiatorin von Polgygonar, dem Online-Angebot für Web-Aktive. Außer-dem betreibt sie den Garten-Blog Arcadia Revisited. Mehr Infos unter denz-berlin.de

Ein Gedanke zu „Skorbut an Bord – Kreatives Schreiben in der Krise?

  1. Puh, du hast mir federleicht das schlechte Gewissen genommen, darüber dass ich liederlicherweise kein Corona-Tagebuch schreibe. Ich betrachte die so genannte neue Realität mit Staunen. Einiges regt auch die Phantasiesynapsen an, aber muss nicht „verwertet“ werden. Die Neubewertung von Altem, Rückbesinnung auf Wesentliches und Austesten von Neuem beschäftigt mich jeden Tag. Mein Schreibprojekt gibt mir dabei trotzdem Struktur, aber besonders deshalb weil ich es nicht corona-überarbeite.

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