Die Methode
FREEWRITING
Nimm ein Blatt Papier und einen Stift (oder setze Dich an Deine Tastatur) und entscheide Dich für ein Startwort.
Setze einen Timer auf fünf, sieben oder zehn Minuten. Schreibe ab Start alles auf, was Dir zu dem Startwort durch den Kopf schießt.
Das Besondere: Du darfst denm Stift nicht absetzen. Fällt Dir nichts mehr ein, schreibst Du „mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein, mir fällt nichts …“, so lange, bis Du weiterkommst. Oder Du malst Kringel.
Freewriting hilft, ins Schreiben aber nicht ins Grübeln zu kommen. Ich wende es auch gerne als Einstieg in eine Konzentrationsphase ein, wenn mich mein Computer oder Kolleg*innen ablenken.
Viele Surrealisten praktizierten Freewriting, teils exzessiv bis hin zu einem Trancezustand. Wer es sich zutraut, kann Freewriting ohne Startwort als Übung anwenden, sich aus Logik und klassischen Denkmustern auszuklinken. Mit viel Übung lernen wir, die Kontrolle über unser Denken abzugeben – und unser Unterbewusstes sprechen zu lassen. Daraus resultiert in der Regel nicht nur Selbsterkenntnis, sondern auch eine eigene Stimme. Die Texte können sich als Materialsammlung für ganz eigene Themen entwickeln.
Ergebnis aus einem Freewriting zu "Ooh, wie süüüß"
Dauer: 6 Minuten (getippt am Computer)
Mein erstes Katzenfoto. Yeaaah. Süß, gell? Ist aber nicht von mir, sondern von Amber Renae on Unsplash. Mal sehen, ob so ein Foto etwas für ein Freewriting hergibt.
„Ooh, wie süüüß“, schreit sie und stürzt auf das Baby im Wagen zu, der vor einem Laden steht. Keine Mutter weit und breit. Nur das Muttertier, die ist mit mir. Ich schäme mich. Was soll man mit so einer Freundin, die, sobald sie Babys sieht, quietscht?
Ich tue, als gehörten wir nicht zusammen. Die Mutter kommt aus dem Laden und starrt auf meine Freundin. Ich wedele mit meiner Hand vor dem Gesicht, verdrehe die Augen und gehe zwei Schritte weiter. Meine Freundin sieht nichts, nur das Kind. Sie folgt mir auch nicht. Sie starrt in den Wagen, und starrt und starrt. Ich weiß nicht was sie hat. Unerfüllter Kinderwunsch, denke ich …
Jetzt holt die Mutter das Baby aus dem Wagen und nimmt es auf den Arm. Meine Freundin lässt das Kind nicht aus den Augen. Ich atme durch und entscheide mich, sie von dort wegzuzuerren. Ich gehe also zurück, meine Freundin stiert immer noch auf das Kind. Die Mutter wiederum starrt verängstigt auf die Frau vor ihr. Ich packe meine Freundin am Ärmel und ziehe sie weg. Sie folgt mir unwillig, tappernd, noch im Stolpern zurück starrend.
„Was ist“, frage ich. „Ist doch peinlich.“ Endlich wendet sie sich mir zu. Ihre Augen flattern.
„Das da“, stammelt sie, „das Kind da …“.
„Ja, ja“, entgegne ich, „süüüß, gell?“.
Sie schüttelt den Kopf.
„Nein“, sagt sie, „es ist, ich …“
„Was denn?“ Ich werde ungeduldig.
„Das war ich“, sagt sie leise.
Ich lache.
„Du hast Dir in die Augen geschaut und gesehen, wie Du mit vier Monaten warst?“
Aber meine Freundin lacht nicht. Sie entwindet meiner Hand ihren Arm und geht mit gesenktem Kopf weiter. Ich schaue zurück. Die Mutter mit dem Kinderwagen ist verschwunden.
Die Autorin
Christina Denz ist Journalistin, Text- und Kommunikationstrainerin und Initiatorin von Polgygonar, dem Online-Angebot für Blogger und Web-Aktive.