Schräge Strategien
„Hab keine Angst vor Klischees“, „Verwerfe ein Axiom“, „Disziplinierte Genusssucht“, „Löse Zweideutigkeiten auf und verwandle sie in Eindeutiges“, „Verfolge Deine Schritte zurück“: Das sind nur ein paar der über 100 „lohnenswerter Dilemmas“, die die Künstler Brian Eno und Peter Schmidt 1975 unter dem Titel „Oblique Strategies“ als Kartendeck auflegten. Die Neuauflage der „schrägen Strategien“ sind hervorragend geeignet, Schreibideen zu entwickeln. Auch online gibt es teils kostenlos „oblique strategies“.
Das tägliche Schräge
Auch wenn ich Julia Cameros „Way of the Artist“ sehr schätze – die von ihr angeregten Morgenseiten haben mir nie gelegen. Ich habe das Glück wüst assoziieren zu können und Gewissheit darüber, dass gerade in scheinbar Unzusammenhängendem Chancen für neue Ideen stecken. Mit den Oblique Strategies habe ich ein Medium gefunden, dass meine Lust an wilder Assoziation weiterträgt: Jeden Morgen ziehe ich aus dem Kartenstapel eine heraus und schreibe assoziativ dazu.
Lustigerweise trafen die Karten, die ich zuletzt zog, auf wundersame Weise auf eine Erzählung zu, in der ich feststeckte. „Discard an Axiom“ ist genau das, was meine Hauptfigur auszeichnet. Ich hatte also eine Anregung, mir zu überlegen, welche Gesetze meine Figur verwirft – ganz konkret. Also: Wenn sie sich gegen das „Establishment“ wendet, worin wird das deutlich. Was lehnt die Figur konkret ab, wo entstehen aus der Ablehnung neue Axiome, die sie wiederum durchbrechen muss? Wo verliert sich die Ablehung und zeigt, wie brüchig meine Figur ist?
Blockaden lösen, Ideen entwickeln
Ursprünglich hatten Brian Eno und der bereits 1980 verstorbene Multimediakünstler Peter Schmidt die „Oblique Strategies“ entwickelt, um Kreativen aus Blockaden und Unkreativität zu helfen. Schreibende hatten sie dabei weniger im Auge als Malerinnen, Designer und Musikerinnen. Aber für uns Schreibende sind die Karten mindestens ebenso hilfreich.
Wir können die Karten als Inspiration für eine neue Geschichte nehmen, als Hilfen um Plot, Figuren oder Strukturen zu überprüfen oder eine neue Wendung zu entwickeln. Wir können entscheiden, dass die nächste Karte, die wir ziehen, einen Plot-Point darstellen soll, oder wir nehmen sie als Ideenanregung für unsere tägliche Schreibpraxis. Auch in Schreibgruppen lassen sich die Karten wunderbar als Schreibanregung verwenden – vorausgesetzt die Teilnehmenden verstehen Englisch, oder jemand übersetzt die einzelnen Karten.
Zugegeben: Die Karten sind teuer. Im Eno-Shop, der einzigen Bezugsquelle, kostet das Kartenset 40 Britische Pfund, auf Ebay sind die Sets in der Regeln noch teurer. Aber es gibt natürlich findige Entwickler*innen, die „Oblique Strategies“ ins Digitale übesetzt haben. Hier eine kleine Auswahl.
Die Seite von Stoney hat die Karten 1:1 online eingestellt. Ein Klick und Du bekommst eine neue „Oblique Strategy“. Kostenlos
Außerdem bietet die Seite Tropone einen Zufallsgenerator aus den Karten auf deutsch an.
Die App Oblique Strategies von Joey deVilla ist kostenlos und gibt Dir bei jedem Tap auf den Bildschirm eine neue Formulierung.
Die App Oblique Strategies SE von dem Unternehmen Monoloco.Inc kostet im App-Store von Apple 2,29 Euro. Hier kannst Du „Shuffle“ einstellen – die App durchläuft die Karten und mit einem Tap auf den Bildschirm erhälst Du eine Zufallskarte.
Die Autorin
Christina Denz ist Journalistin, Schreippädagogin, Dozentin und Initiatorin von Polgygonar, dem Online-Angebot für Web-Aktive. Außerdem betreibt sie den Garten-Blog Arcadia Revisited. Mehr Infos unter denz-berlin.de.
3 Gedanken zu „Oblique Strategies“
Danke fürs Vorstellen, liebe Christina. Du hast ja schon mal davon erzählt, aber jetzt habe ich eine noch genauere Vorstellung. Und vielleicht können einem ja auch die Morgenseiten und die Obliques Strategies liegen 😉
Ja, das stimmt. Eigentlich versuche ich damit ja genau das: Morgens zu einem Schreibimpuls Einfälle zu generieren. Macht auf alle Fälle viel Spaß.